Biologie des Bibers
Sozialverhalten des Bibers
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Inhaltsverzeichnis
Bedeutung des Analdrüsensekrets
Der Biber wird zu den semiaquatischen Säugetieren gerechnet, die sich - unter anderem
bedingt durch ihre amphibische Lebensweise - neben den morphologischen und physiologischen,
auch durch eine Reihe von verhaltensbiologischen Anpassungen auszeichnen
(Heidecke 1992; Schröpfer & Stubbe 1992).
So zeigt der Biber beispielsweise ein bei Säugetieren selten anzutreffendes,
monogames Paarungssystem (Kleimann 1977; Svendsen 1989;
Wilsson 1971), bei dem die männlichen Elterntiere vergleichsweise
viel in den eigenen Nachwuchs investieren. Die Tiere leben in Familienverbänden
(nach Bradt (1938) auch als "Kolonie" bezeichnet), die in der
Regel aus dem Elternpaar sowie den Jungtieren aus dem aktuellen Jahr und den subadulten
Tieren aus dem Vorjahr bestehen (Freye 1978; Wilsson 1971).
Normalerweise pflanzt sich in einer solchen Gruppe nur das adulte Weibchen fort
(Brady & Svendsen 1981; Heidecke 1984). Beim Nordamerikanischen Biber
wird die Reproduktion des zweijährigen, bereits geschlechtsreifen Nachwuchses durch die
Anwesenheit der Elterntiere unterbunden, wobei allerdings nicht ganz klar ist, ob dies über
das Verhalten der Elterntiere oder durch den Einsatz elterlicher Pheromone (oder beides) realisiert
wird (Brooks et al. 1980).
Bislang wurde immer davon ausgegangen, dass Biber auf Grund ihres besonderen Sozialverhaltens mit einer
lang andauernden Paarbindung, einer Jungtierfürsorge durch beide Elternteile sowie der Beteiligung
beider Elternteile an der Revierverteidigung obligat monogam sind (Sharpe & Rosell 2003;
Svendsen 1989; Wilson 1971). Darüber hinaus lassen sich bei
den Mitgliedern einer Familiengruppe eine ähnliche Zusammensetzung des Analdrüsensekrets
nachweisen, was darauf hindeutet, dass alle Familienmitglieder eng miteinander verwandt sind - mithin
also aus der Verpaarung eines monogamen Paares hervorgegangen sind (Sun & Müller-Schwarze
1998b). Allerdings ist zumindest von Nordamerikanischen Bibern bekannt, dass eine Paarbindung mitunter
nur 2 - 3 Jahre hält und zumindest ein Teil der Jungtiere in einem solchen Fall dann nur Halbgeschwister sind
(Sevendsen 1989). Weiterhin sind beim Nordamerikanischen Biber wiederholt in einer
Familiengruppe mehr als zwei erwachsene Tiere und mehr als ein laktierendes Weibchen beobachtet
worden (Bergerud & Miller 1977; Crawford et al. 2008;
Busher et al. 1983; Wheatley 1993). Wie aktuelle genetische Untersuchungen
jedoch zeigen, scheint eine Verpaarung von Nicht-Familienmitgliedern wesentlich häufiger zu sein,
als bislang angenommen. So konnte durch die Verwendung von Microsatelliten beim Nordamerikanischen
Biber nachgewiesen werden, das bei mehr als 50 % der daraufhin untersuchten Würfe eine Verpaarung
der Weibchen mit einem fremden Männchen (in den meisten Fällen handelte es sich dabei um ein
Männchen aus einem benachbarten Revier) stattgefunden haben muss (Crawford et al.
2008). Zu diesen Befunden passt auch, dass beim Eurasischen Biber die Tiere auf unmittelbare Reviernachbarn
(bzw. auf deren Markierungshügel) viel weniger aggressive reagieren, als auf völlig fremde Tiere
(Rosell & Bjørkøyli 2002). Für die Jungtiere hat diese "geteilte"
Elternschaft dahingehend Vorteile, dass sie nicht nur das Revier ihrer Mutter, sondern ebenso auch das
angrenzende Revier des Vaters zur Nahrungssuche mitnutzen können (Crawford et al.
2008). Da Biber die Familienzugehörigkeit eines anderen Bibers olfaktorisch feststellen können
(Sun & Müller-Schwarze 1997, 1998b) und die Jungtiere mit "geteilter"
Elternschaft sowohl über die Muttertier mit den Mitgliedern der einen Familiengruppe, als
auch über das Vatertier mit den Mitgliedern der benachbarten Familiengruppe verwandt sind, werden sie von
allen Familienmitgliedern aus beiden Revieren geduldet (Crawford et al. 2008).
Die Familiengröße beträgt bei C. fiber im Durchschnitt 4 Tiere; an
Fließgewässern überwiegen 3 - 6, an stehenden Gewässern häufig
mehr als 10, maximal 14 Tiere pro Familie (Heidecke 1984). Die Jungtiere aus
dem Vorjahr helfen aktiv bei der Versorgung der diesjährigen Jungtiere, indem sie
beispielsweise Nahrung in den Bau schaffen (Brady & Svendsen 1981) und sich
an der Reviermarkierung beteiligen (Rosell 2002). Die subadulten Tiere verlassen
zum Ende ihres zweiten Lebensjahres das elterliche Revier und pflanzen sich bei
C. fiber in der Regel in ihrem vierten Kalenderjahr das erste Mal fort (Freye
1978; Heidecke 1984; Klenner-Fringes 2001; Morgan 1868). Nur
in Ausnahmefällen, etwa bei sehr hoher Populationsdichte, verbleiben sie auch noch ein drittes Jahr
bei den Eltern (Svendsen 1989; Zahner et al. 2005).
Paarbildung [Zum Seitenanfang]
Nachdem die zweijährigen Jungtiere im Frühjahr das Elternrevier verlassen haben,
machen sie sich auf die Suche nach einem Fortpflanzungspartner und einem eigenen
Revier (z.B. Heidecke 1984; Welsh & Müller-Schwarze 1989). Welche
Entfernungen dabei von den Tieren zurück gelegt werden und ob die Tiere jeweils so
weit wandern, bis sie in noch nicht von Bibern besiedelte Gewässerabschnitte gelangen,
ist bislang noch nicht systematisch untersucht worden. In der Literatur wird im
wesentlichen nur über maximal zurückgelegte Entfernungen einzelner Tiere berichtet,
die mit 100 bis 500 km angegeben werden (eine Zusammenfassung ist beispielsweise bei
Zahner et al. 2005 zu finden).
Häufig handelt es sich bei solchen Berichten auch lediglich um Einzelbeobachtungen,
wenn z.B. markierte Tiere zufällig weitab von ihrem ursprünglichen Markierungsort
aufgefunden wurden (Heidecke 1984; Hogdon 1978 in
Zahner et al. 2005; Saveljev et al. 2002;
Stocker 1985). Die Ausbreitung kann dabei auch weite Strecken über Land
und sogar über Wasserscheiden hinweg erfolgen (Heidecke 1984;
Leege 1968; Saveljev et al. 2002). Die
meisten dieser Untersuchungen stellen zwar fest, dass Tiere der Altersgruppe der
Zweijährigen die größten Entfernungen zurücklegen (z.B.
Leege 1968; Saveljev et al. 2002; Sun
et al. 2000), geben aber keine Auskunft darüber, wo genau sich die Tiere
im einzelnen ansiedeln. Die Ausbreitung einer Population erfolgt nach Heidecke
(1984), indem einzelne Tiere zu Beginn große Strecken zurücklegen, bevor sie sich
fest ansiedeln, und danach die verbliebenen Lücken nach und nach aufgefüllt werden.
Der überwiegende Teil der Jungtiere beider Arten legt während der Dismigrationsphase
selten mehr als 20 km zurück. Häufig entfernen sich die Tiere sogar weniger als
5 km weit von ihrem elterlichen Revier (Leege 1968; Saveljev
et al. 2002; Sun et al. 2000). Von Heidecke (1984)
werden für den Elbe-Biber (C. f. albicus) 26 km als mittlere Dismigrationsdistanz
angegeben. Bei der Berechnung wurden aber nur die plötzlich und weit entfernt von bekannten
Bibervorkommen auftretenden Einzeltiere berücksichtigt, so dass dieser Wert
sicherlich zu hoch gegriffen ist.
Von einigen Autoren wird auch vermutet, dass die Art des von den Bibern besiedelten Habitats
einen Einfluss auf die Dismigrationsdistanzen der Tiere haben. So scheinen in Populationen,
die an Flüssen ohne größere Querverbindungen zwischen den einzelnen Gewässern
siedeln, von den abwandernden subadulten Bibern zumindest tendenziell größere Distanzen
zurückgelegt werden, als von subadulten Tieren aus Populationen, die in einem verzweigten
und stark miteinander vernetzten Gewässersystem leben (Crawford et al. 2008).
Ob sich die Länge der von subadulten Bibern durchgeführten Wanderungen zwischen
den Geschlechtern unterscheidet, darüber liegen geteilte und teilweise
widersprüchliche Angaben vor. Während bei Sun
et al. (2000) die Männchen von C. canadensis im Westen des
Bundesstaats New York philopatrisch waren, so waren bei Untersuchungen von
Leege (1968) an der selben Art im Bundesstaat Idaho die Weibchen
das philopatrische Geschlecht. Laut Saveljev et al. (2002) legen
dismigrierende männliche Tuvinische Biber (C. fiber tuvinicus) ebenfalls
größere Entfernungen zurück als die Weibchen.
Ebenso sind nur bei wenigen Autoren konkrete Angaben über den Vorgang der
Paarbildung bei den Bibern zu finden. Nach Wilsson
(1971) soll die Paarbildung vom weiblichen Tier ausgehen, welches erst ein geeignetes
Revier besetzt und dann einen Paarungspartner rekrutiert. Die Paarbildung soll
nach demselben Autor auch nur erfolgreich sein, wenn das Weibchen größer (älter)
als das Männchen ist. Die Beobachtungen erfolgten allerdings an gekäfigten Tieren
unter teilweise sehr künstlichen Haltungsbedingungen (z.B. Sozialisation mit dem
Pfleger).
Paarbildung bei C. canadensis nach
Svendsen 1989.
Bei freilebenden Nordamerikanischen Bibern erfolgt die Paarbildung nach
Svendsen (1989) in den meisten
Fällen dadurch, dass sich ein wanderndes Tier einem bereits residenten Tier
anschließt. Das sesshafte Tier kann entweder ebenfalls ein dismigrierendes Tier
sein, welches erst vor kurzem ein Revier gegründet hat, oder bei dem residenten
Tier handelt es sich um einen Biber, dessen Partner verstorben ist oder ihn
verlassen hat. Der genannte Autor fand bei seinen Untersuchungen zu etwa gleichen
Anteilen eine Paarbildung zwischen einem zweijährigen, wandernden Weibchen und
einem adulten, sesshaften Männchen (33 %), einem zweijährigen dismigrierenden
Männchen und einem adulten, residenten Weibchen (26 %) sowie zwischen zwei zweijährigen,
wandernden Tieren (33 %). Zu einem weitaus geringeren Prozentsatz kamen darüber hinaus
auch noch Paarneubildungen zwischen zwei adulten Bibern vor (8 %). In wieweit diese
Ergebnisse auch für den Eurasischen Biber zutreffen, ist bislang nicht geklärt.
Territorialität [Zum Seitenanfang]
Markierungshügel mit Fraßholz
an der Hase.
Um eine sichere Aufzucht der Jungtiere über den langen Zeitraum von zwei Jahren
zu gewährleisten, ist es von Vorteil, in einem Lebensraum zu siedeln, der über
ausreichend Möglichkeiten zur Nahrungsbeschaffung oder zur Anlage eines Baus
verfügt. Es ist also sinnvoll, diese Ressourcen vor der Ausbeutung durch fremde
Artgenossen zu schützen. Biber sind daher territorial, das heißt die Tiere
verteidigen einen bestimmten Gewässerabschnitt gegenüber anderen Individuen der
selben Art, die nicht der Familie angehören (Bradt 1938;
Klenner-Fringes 2001).
Markierungshügel an der Südradde.
An der Revierverteidigung im weitesten Sinne - wozu auch das Markieren des Reviers
zählt - beteiligen sich alle Familienmitglieder mit Ausnahme der Jungtiere,
die jünger als fünf Monate sind (Rosell
2002; Rosell et al. 1998).
Neben direkten aggressiven Auseinandersetzungen zwischen den Revierinhabern und
revierfremden Tieren (Piechocki 1977; Wilsson 1971) erfolgt die
Revierverteidigung hauptsächlich olfaktorisch durch das Anlegen von Markierungshügeln, auf
die der Inhalt der Präputialdrüsen (besser als "Castorsäcke" bezeichnet,
da es sich nicht um Drüsen im eigentlichen Sinne handelt (Walro & Svendsen 1982)),
das Castoreum, sowie - seltener - auch das Sekret der Analdrüsen abgegeben wird
(Müller-Schwarze & Heckman 1980; Rosell & Nolet 1997).
Rosell & Sundsdal (2001) fanden lediglich bei vier von 96 Markierungshügeln
norwegischer Biber C. fiber neben dem Castoreum auch noch Analdrüsensekret in den
Reviermarkierungen. Ob Männchen und Weibchen gleich häufig markieren, wird kontrovers diskutiert
(Wilsson 1971; Heidecke 1984; Hogdon & Lancia 1983;
Romme Thomsen 2002 in Herr & Rosell 2004).
Bedeutung des Analdrüsensekrets [Zum Seitenanfang]
Die Untersuchungen von Sun & Müller-Schwarze
(1997, 1998a, 1998b) an C. canadensis deuten darauf hin, dass das Analdrüsensekret
Informationen darüber enthält, ob es sich bei dem markierenden Tier um ein verwandtes
oder ein nicht verwandtes Individuum handelt. Selbst nicht verwandte Partner
"lernen" es, den Geruch verwandter Tiere des jeweilig anderen Partners zu
erkennen und entsprechend zu reagieren (Sun & Müller-Schwarze
1997), wobei aber wahrscheinlich nur "verwandt" - "nicht verwandt"
erkannt wird.
Das Analdrüsensekret scheint dagegen keine Informationen in Bezug auf
das Individuum zu haben. Die Komponenten des Analdrüsensekretes unterscheiden sich
auch deutlich von denen des Castoreums. Grønneberg
(1979) wies 60 verschiedene Wachsester aus dem Sekret männlicher Biber nach und
Grønneberg & Lie (1984) fanden
geschlechtsspezifische Unterschiede in der Zusammensetzung des Sekretes
(s. auch Rosell & Sundsdal 2001).
Bedeutung des Castoreums [Zum Seitenanfang]
Funktionen der Markierungshügel.
Dass das Castoreum unter anderem zur Abgrenzung des Territoriums dient und somit
"Zaunfunktion" hat, wurde experimentell von Müller-Schwarze & Heckman (1980)
für C. canadensis gezeigt und von anderen Autoren bestätigt
(Aleksiuk 1968; Hay 1958; Rosell & Nolet 1997;
Sun & Müller-Schwarze 1998c).
Nach Eibl-Eibesfeld (1958) dient das Absetzen von Markierungen bei einigen
Vertretern der Rodentia - wie auch bei vielen anderen Säugetierspezies - außerdem
dazu, sich im eigenen Revier zu orientieren. Das Anlegen von Markierungshügeln im
Bereich des Baus sowie an Ausstiegen und Fraßplätzen würde für eine
solche Orientierungshilfe - und damit eine Multifunktionalität der Markierungen - auch
beim Biber sprechen (Butler & Butler 1979; Klenner-Fringes 2001;
Müller-Schwarze & Heckman 1980; Richard 1970).
Nach Sun & Müller-Schwarze (1997) enthält das Castoreum - anders
als das Analdrüsensekret - keine Informationen in Bezug auf die Verwandtschaft. Die
Tiere reagieren jedoch auf fremdes Castoreum mit spezifischen Verhaltensweisen. Das setzt
voraus, dass Biber in der Lage sein müssen, das eigene Sekret von dem anderer Individuen
zu unterscheiden und dass sie erkennen können, ob eine Markierung von einem Reviernachbarn,
also einem mehr oder weniger bekannten Individuum stammt oder von einem fremden, unbekannten
Tier. Dass Biber dies können, lassen die von Schulte (1998) in einer
Feldstudie an C. canadensis auf Grund von Verhaltensbeobachtungen gewonnenen Ergebnisse
vermuten. Außerdem sollten die Tiere in der Lage sein, die Markierungen der
Familienmitglieder individuell zuordnen zu können, da die Tiere während der
Aktivitätsphase überwiegend einzeln unterwegs sind, innerhalb des Territoriums
getrennte Aktionsräume aufsuchen und damit auch häufig individuelle Fraß-
und/oder Ruheplätze haben (Heidecke 1984). Das ist besonders im Hinblick
auf die erwähnte Multifunktionalität wichtig, wenn das Sekret u.a. Informationen
zur Nahrung enthält.
Ob und welche der zahlreichen bislang nachgewiesenen Komponenten des Castoreums
- u.a. Alkohole, Phenole, Aldehyde, Ketone, organische Säuren, Ester und Amine -
(Lederer 1946; 1949a; 1949b; Tang et al. 1995;
Maurer & Ohloff 1976) für den individuellen "olfaktorischen
Fingerabdruck" verantwortlich sind, ist bislang unbekannt. Ein Teil dieser Stoffe,
z.B. Quinol, Zimtaldehyd oder Mannitol, kann im Urin von Säugetieren nachgewiesen
werden (Lederer 1949b). Das stützt die Annahme, dass der Inhalt der
in den Ureter mündenden Castorsäcke mit Urin ausgespült wird (Svendsen
1978; Walro & Svendsen 1982). Andere Stoffe, wie z.B. Benzaldehyd,
Chavicol, Borneol oder Pinocarveol, sind Bestandteile vieler ätherischer Öle
und stammen offensichtlich aus der Nahrung.
Wie Walro & Svendsen (1982) experimentell nachwiesen, hat der mit dem
Castoreum zusammen abgegebene Urin - anders als bei vielen anderen Säugetierarten -
keinen Informationsgehalt in Bezug auf die Identität des markierenden Tieres.
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