Wiederansiedlung und Populationsentwicklung
Inhaltsverzeichnis
Herkunft und Wiederansiedlung der Biber im Emsland
Populationsentwicklung der Emslandbiber
Wiederansiedlung oder Wiedereinbürgerung?
Herkunft und Wiederansiedlung der Biber im Emsland [Zum Inhaltsverzeichnis]
Das Bibervorkommen im Emsland geht auf eine Wiederansiedlung (zur Begriffsdefinition
s.u.) durch die
Arbeitsgruppe Ethologie der Universität Osnabrück unter der Leitung von Frau Dr.
Klenner-Fringes und Herrn Prof. Dr. Schröpfer im Oktober 1990 zurück.
Ursprünglich sind Biber auch im Emsland heimisch gewesen, wie bereits verschiedene Ortsnamen an
der Ems andeuten. So etwa die Ortschaften "Beversundern" westlich von Lingen oder
auch "West-" und "Ostbevern" (Kreis Warendorf) an der Ems nordöstlich
von Münster.
Die Vorgehensweise bei der Wiederansiedlung orientierte sich eng an den damaligen Richtlinien der "International Union for Conservation of Nature", IUCN (aktuelle Fassung der Richtlinien als pdf-Datei) und erfolgte in enger Zusammenarbeit mit dem Umweltministerium Niedersachsen (Frau M. Griefahn), Herrn D. Blanke vom damaligen "Niedersächsischen Landesamt für Ökologie" (NLÖ) und dem damaligen "Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft und Küstenschutz", Betriebsstelle Meppen und Bauhof Lehrte - heute zusammengefasst zum "Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz", NLWKN, sowie der "Unteren Naturschutzbehörde Meppen" unter der Leitung von Herrn L. Pott.
Bei den ursprünglich ausgesetzten Tieren handelte es sich um 8 Elbe-Biber (Unterart Castor fiber albicus), die für die Wiederansiedlung in den heutigen Bundesländern Sachsen-Anhalt bzw. Brandenburg gefangen wurden. Die 8 umgesiedelten Tiere gehörten zu 2 Familiengruppen. Die erste Gruppe setzte sich aus 2 Elterntiere mit ihren 4 Jungtieren zusammen, während die zweite Gruppe aus einem subadulten Paar ohne Nachwuchs bestand.
Abb. 1: Herkunft der an der Hase ausgesetzten Biber. (Karten-Quelle:
CC-BY-SA by
OpenStreetMap © 2010).
Abb. 2: Bau der Familiengruppe im Elbe-Altarm Bleddiner
Riß.
Die Familie mit den 4 Jungtieren stammte aus dem Elbe-Altarm Bleddiner Riß bei Bleddin (Land Sachsen-Anhalt),
südöstlich von Lutherstadt Wittenberg; das subadulte Paar wurde an der Schwarzen Elster in der
Nähe von Arnsnesta (Land Brandenburg), nordwestlich von Herzberg/Elster gefangen (siehe Abb. 1 u. 2).
Die Elterntiere der Familiengruppe waren beide mindestens 5 Jahre alt, ihre Jungtiere hatten ein
Alter von etwa 5 Monaten, während die beiden subadulten Biber mindestens 2,5 Jahre alt waren.
Die beiden Adulten der Familiengruppe sowie die beiden subadulten Tiere wurden vor dem Freilassen mit
Aktivsendern ausgerüstet, um über die Bewegungen der Biber in den ersten Wochen Aufschluss
zu erhalten und um die Tiere im Falle einer großräumigen Abwanderung gegebenenfalls wiederzufinden.
Abb. 3: Kunstbau kurz vor der Fertig-
stellung.
Die Tiere wurden als Familiengruppen ausgesetzt, um einer solchen ungerichteten Abwanderung direkt nach dem
Freilassen entgegenzuwirken, wie dies bei dem Aussetzen von Einzeltieren ohne soziale Bindungen zu erwarten
gewesen wäre.
Außerdem wurden für beide Familien jeweils ein Kunstbau angelegt (vergl. Abb. 3), in den die Tiere aus ihren
Transportkisten heraus entlassen wurden. Die Baue waren so gestaltet, dass aus dem höher gelegenen Wohnkessel eine
Röhre abwärts in Richtung zum Wasser führte. Den Ausgang zum Wasser mussten sich die Tiere dann
selber graben. Dadurch entwickeln die Biber gleich zu Anfang eine gewisse Ortsbindung, welches ebenfalls
das Risiko einer ungerichteten Abwanderung minimiert.
Der Kunstbau der 6-köpfigen Familie befand sich dabei auf Höhe des Dörgener Altarms etwa bei Flusskilometer 11,5 und der Kunstbau des subadulten Paares lag unterhalb des Betriebshofes des NLWKN Meppen in der Nähe der Ortschaft Lehrte etwa bei Flusskilometer 15,5 (siehe Abb. 4 u. 5). Beide Gruppen siedelten sich wie erwartet in unmittelbarer Nähe ihres Aussetzungsortes an, nachdem sie bereits in der ersten Nacht die Kunstbauten verlassen hatten. Zunächst legten die Tiere nur einige Sassen an, die sie während der Ruhephasen aufsuchten. Nach einiger Zeit gruben sich die Biber aber auch eigene Erdbauten.
Im ersten Jahr nach dem Aussetzen (d.h. von Oktober 1990 bis etwa November 1991) beanspruchte die
6-köpfige Familiengruppe die Hase zwischen Flusskilometer 8 (Straßenbrücke Bokeloh)
und Flusskilometer 14 für sich. Dabei wurde von den Tieren auch das NSG "Hasealtarm"
mit benutzt (nicht jedoch der Dörgener Altarm und der Altarm Bokeloh). Das subadulte Paar
nutzte den Haseabschnitt zwischen Flusskilometer 14,5 und 18 (etwa Höhe Mittelraddemündung).
In Anbetracht des mehr als ausreichenden Nahrungsangebots in diesem Bereich der Hase, waren die
Reviere der beiden Familien relativ groß (6 km bzw. 3,5 km), was
wahrscheinlich damit zusammenhing, dass die Tiere zu Beginn der Besiedlung noch keine Nachbarn
hatten (vergl. Abb. 4).
Von beiden Familien wurden die entsprechenden Gewässerabschnitte nicht sofort in ihrer kompletten
Ausdehnung genutzt. Vielmehr vergrößerten die Biber ihre Reviere erst nach und nach. Bei der
6-köpfigen Familiengruppe erreichte das Revier etwa 6 Monate nach dem Aussetzen seine volle
Ausdehnung und bei dem subadulten Paar nach etwas weniger als 8 Monaten.
Abb. 4: Biber-Reviere im ersten Jahr nach der Ansiedlung
(1991).
rot = 6-köpfige Familiengruppe; grün = subadultes Paar
rote Punkte = Lage der Kunstbaue
(Karten-Quelle:
CC-BY-SA by
OpenStreetMap © 2010)
Abb. 5: Biber-Reviere im zweiten Jahr nach der Ansiedlung
(Anfang 1992).
rot = Familiengruppe; grün = subadultes Paar
blau, hellblau = Jungtierreviere
rote Punkte = Lage der Kunstbaue
(Karten-Quelle:
CC-BY-SA by
OpenStreetMap © 2010)
Bei beiden Familien wurden bereits im Frühjahr 1991 je zwei Jungtiere geboren - mit ein Indiz
dafür, dass sich die Tiere gut eingelebt hatten.
Ab Anfang 1992, d.h. zu dem Zeitpunkt, an dem sich die 4 Jungtiere der Familiengruppe dem Ende ihres zweiten
Lebensjahres näherten, etablierten die Jungtiere 2 neue Reviere innerhalb des Reviers ihrer Eltern. Das
Elternrevier erstreckte sich nun nur noch zwischen km 8 und km 10,5 (Länge: 2,5 km), schloss aber dann
auch den Altarm Bokeloh mit ein. Eines der beiden Jungtierreviere umfasste den sich an das Elternrevier
anschließenden Haseabschnitt zwischen km 10,5 und km 12,5 (Länge: 2 km), wobei die Tiere auch
das NSG "Hasealtarm" sowie den Dörgener Altarm mitnutzten (siehe Abb. 5). Unmittelbar daran
anschließend erstreckte sich das zweite Jungtierrevier von km 12,5 bis km 14,5 (Länge: 2 km). Wie
Abb. 5 zeigt, blieb die Lage des Reviers des subadulten Paares dagegen unverändert (km 14,5 bis km 18;
Länge: 3,5 km).
Bei der Paar- und Revierbildung der Jungtiere Anfang 1992 ist davon auszugehen, dass es sich hierbei
um eine Verpaarung von Geschwistern handelte, wobei dies für Biber nicht ungewöhnlich ist.
Populationsentwicklung der Emslandbiber [Zum Inhaltsverzeichnis]
Bereits im Frühjahr 1991 hatte sich die Anzahl der Biber von ursprünglich 8 auf nunmehr
12 Tiere erhöht. Im Anschluß daran vergößerten die Biber auch kontinuierlich
ihr Verbreitungsgebiet und etwa im Jahr 1998 siedelten dann auch erstmalig Tiere in der Ems.
Nach einer zunächst langsamen Entwickklung in den ersten Jahren nach dem Aussetzen der Biber
folgte ab einer gewissen Anzahl von Tieren ein exponentieller Anstieg der Populationsdichte, der
sich allerdings in den letzten Jahren zunehmend abzuflachen scheint. Damit ergibt sich ein für
die Entwicklung von Tierpopulationen typischer, sigmoidaler Verlauf der Bestandtsentwicklung der
Biber im Emsland (siehe Abb. 6).
Abb. 6: Bestandsentwicklung der Biberpopulation an Hase und Ems und Modellierung der
Populationsentwicklung. Die Daten ab dem Jahr 1998 stammen aus Werkverträgen für den
Niedersächsischen
Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN).
Das logistische Wachstum der Biberpopulation im Emsland, welches für viele Tierarten typisch ist,
kann mit der Formel
Nt = Nt - 1 + (r * Nt - 1 * ((K - Nt - 1)/K))
mit r = 0,27 und K = 125
recht gut beschrieben werden (vergl. Abb. 6). Dabei stellt der Faktor "r" den jährlichen Zuwachs und
"K" die Kapazitätsgrenze der Population dar. Zu beachten ist, dass die in der obigen
Abbildungen verwendeten Zahlen nur für das langjährige Untersuchungsgebiet an Hase und
Ems gelten (sieh Abb. 7). Dieses erstreckt sich an der Hase von Flusskilometer 40 (etwa Höhe Altarm Wehlage) bis
zur Mündung in die Ems bei Meppen, sowie an der Ems zwischen Lingen und Haren (etwa 90 Flusskilometer).
Abb. 7: Langjähriges Untersuchungsgebiet an Hase und Ems.
(Karten-Quelle:
CC-BY-SA by
OpenStreetMap © 2016)
Da Biber territorial sind und jede Familie einen gewissen Gewässerabschnitt für sich allein beansprucht, kann die Anzahl der Tiere innerhalb eines bestimmten Gebietes nicht über eine bestimmte Größe hinaus ansteigen (in der Ökologie bezeichnet man dies als die Tragekapazität eines Gebietes). Entlang der Hase und Ems in diesem Bereich (sowie deren Nebengewässern im Unterlauf) scheint die Tragekapazität des Gebietes erreicht zu sein. D.h. die Anzahl der Biber wird sich im langjährigen Untersuchungsgebiet voraussichtlich bei etwa 120 - 130 Tieren einpendeln und nicht weiter steigen. Alle zusätzlichen Tiere haben nur die Möglichkeit, entweder ein frei gewordenes Revier (etwa nach dem Tod eines der beiden oder beider Revierinhaber) zu besetzten oder aber aus dem Gebiet abzuwandern.
Eine solche Abwanderung findet bereits aktuell statt, wie die Untersuchung im Jahr 2009 belegen. Vor allem an
der Ems konnten zu diesem Zeitpunkt außerhalb des oben beschriebenen Untersuchungsgebietes weitere
Reviere nachgewiesen werden (die Lage aller aktuellen Reviere ist in unserer
Verbreitungskarte dargestellt).
Der Bestand hat sich mittlerweile von den ursprünglich 8 ausgesetzten Tieren
Die Tiere werden allerdings ihren Lebensraum vor allem an der Ems (die Hase ist oberhalb von Herzlake nur sehr bedingt als
Lebensraum für den Biber geeignet) in den nächsten Jahren wohl noch weiter vergrößern.
Wiederansiedlung oder Wiedereinbürgerung? [Zum Inhaltsverzeichnis]
In sehr vielen Veröffentlichungen zu Artenschutzprogrammen, die den Biber (und andere heimische Tierarten) betreffen, ist fälschlicherweise von einer Wieder-einbürgerung des Bibers zu lesen. Da der Biber aber ursprünglich in fast ganz Deutschland verbreitet war und ausschließlich durch Aktionen des Menschen (Jagd, Habitatzerstörung etc.) nahezu ausgerottet wurde, muss man bei der Aussetzung der Tiere im Emsland (und andernorts) richtiger von einer "Wieder-ansiedlung" sprechen und nicht von einer "Wieder-einbürgerung".
Unter einer "Einbürgerung" versteht man das absichtliche oder
auch unabsichtliche Aussetzen einer Tier- oder Pflanzenart, die in dem
Aussetzungsgebiet ursprünglich nicht heimisch gewesen ist (Beispiele
für die Einbürgerung einer Tierart in Deutschland wären der Bisam
Ondatra zibethicus oder die Nutria Myocastor coypus).
Eine "Wiedereinbürgerung" wäre demnach das erneute Aussetzen
einer nicht-heimischen Tierart, nachdem diese - aus welchen Gründen auch immer -
aus ihrem Einbürgerungsgebiet verschwunden ist.
Solch eine eingebürgerte, nicht-heimische oder gebietsfremde Art wird im Falle einer Tierart als
"Neozoon" (Mehrz.: Neozoen) bzw. im Falle einer Pflanzenart als "Neophyt"
(Mehrz.: Neophyten) bezeichnet. Im ökologischen Sprachgebrauch werden diese Arten
oftmals auch als "allochthone Arten" zusammengefasst.
Da auf das Aussetzen nicht-heimischer Arten oftmals sehr
große Probleme folgen (unkontrollierte Vermehrung der eingebürgerten Arten
und Verdrängung einheimischer Arten, Einschleppen von Krankheiten durch die
eingebürgerten Arten), ist der Vorgang einer solchen "Einbürgerung"
in der Regel als kritisch anzusehen und stellt eine "Faunen-" bzw.
"Florenverfälschung" dar.
Laut § 40 Absatz 4 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG in der Fassung vom 01.03.2010)
bedarf die Ausbringung gebietsfremder Arten einer Genehmigung, soweit es sich hierbei nicht
um den Anbau von Pflanzen in der Land- und Forstwirtschaft oder um den Einsatz von Tieren
zum Zweck des biologischen Pflanzenschutzes handelt (siehe
§ 40 des BNatSchG
bei dejure.org).
Weitergehende Informationen zu Neozoen bzw. Neophyten liefert das Positionspapier
Gebietsfremde Arten (pdf, 1,1 MB) des
Bundesamtes für Naturschutz.
Dagegen können ursprünglich in einem Gebiet heimische Tier- oder Pflanzenarten (wie etwa der Biber im Emsland) - die in der Ökologie auch als "autochthone Arten" bezeichnet werden - also nicht "eingebürgert" oder gar "wiedereingebürgert", sondern nur "wiederangesiedelt" werden. Im § 37, Abschnitt 1 Absatz 3 des Bundesnaturschutzgesetzes wird die Wiederansiedlung verdrängter, wild lebender Arten innerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets ausdrücklich als eine Aufgabe des Artenschutzes definiert (siehe § 37 des BNatSchG bei dejure.org).
Diesen kleinen sprachlichen Unterschied zwischen einer Wiederansiedlung und einer
(Wieder-)Einbürgerung sollte man sich bewußt machen, wenn über die
Wiederansiedlung einer Tier- oder auch Pflanzenart diskutiert wird. Leider wird zum Teil
selbst in Gesetzestexten von einer Wiedereinbürgerung gesprochen, auch wenn eigentlich
eine Wiederansiedlung gemeint ist (siehe beispielsweise den
§ 45 des
Niedersächsischen Naturschutzgesetzes).
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